SimNat Symposium in Fulda
Jun 5, 2023
INM München

Über 150 Fachkräfte aus Pflege und Medizin kamen am 03.März in Fulda zum Symposium des SimNat-Netzwerkes zusammen, um sich über neueste Entwicklungen im simulationsbasierten Lernen in der Pflege auszutauschen. Auch wir waren als Simulationsprofis natürlich dabei und haben in einem Vortrag und einem Workshop Einblicke in unsere Arbeit gegeben. Gemeinsam mit Marion Freundorfer wagte Manü Boecker in einem 90minütigen Workshop das Experiment, „ad hoc“ nach den Vorgaben des Fachpublikums eine Patientenfigur zu kreieren und direkt in einer spontan Simulation einzusetzen. Unser Vortrag „Profis in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten“ kann hier nachgelesen werden.

Professionelle Schauspieler:innen in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten

Herzlich willkommen zu meinem Vortrag „Professionelle Schauspieler:innen in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten“. Ich freue mich sehr über die Einladung hier zum Symposium, um über unsere Tätigkeit als Schauspielpatient:innen zu sprechen.
Vielen Dank an dieser Stelle an das Organisationsteam, das dieses Symposium mit viel Perfektion und Leidenschaft auf die Beine gestellt hat.

Meine Frau und Partnerin, Ute Reiber, und ich haben 2019 KULTUR LE MUC gegründet, seitdem konzentrieren wir uns fast ausschließlich auf den Bereich Simulation und Training.

Für die Tätigkeit als Schauspielpatient:innen gibt es keine klassische Ausbildung, ich will Ihnen deshalb kurz über unseren Werdegang als Schauspielprofis in medizinisch-pflegerischen Simulationen erzählen.
Ute und ich haben jeweils beide nach unserer dreijährigen Schauspielausbildung viele Jahre in Fest – oder Gastengagements an Theatern verbracht, Ute neben dem Schauspiel auch als Sängerin im Musicalbereich. Parallel zu unserer Bühnentätigkeit haben wir immer auch unterrichtet, beispielsweise Gesang, Improvisation oder Rollenarbeit an Schauspielschulen und Workshops und Seminare an verschiedensten Institutionen geleitet oder Inszenierungen mit Laientheatergruppen entwickelt.

Neben der Schauspielerei habe ich im Zivildienst eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert und vor einigen Jahren meine Kenntnisse im Krankentransport und Rettungsdienst wieder aufgefrischt. Der Alltag in Seniorenheimen und Krankenhäusern und vor allem viele Krankheitsbilder und „Patiententypen“ sind mir also sehr vertraut.

Ute hat neben ihrer Laufbahn als Schauspielerin Psychologie studiert und ihre Bachelorarbeit 2020 gleich genutzt, um eine Trainingsmaßnahme gegen Sexuelle Belästigung in der Pflege zu entwickeln. Dieses wichtige und wirkungsvolle eintägige Seminar ist mittlerweile fester Bestandteil eines Bildungszentrums in Bayern.

Wie kam es bei uns zum Einstieg in den Bereich „Simulation in Pflege und Medizin“?

Nach der Schauspielausbildung habe ich ja nicht gleich davon geträumt, in einer OSCE Examensprüfung 20 Mal in Folge im Flügelhemdchen die Verwirrtheit eines Demenzpatienten darzustellen.

Mein erster Kontakt mit dieser Methode entstand vor etwa 15 Jahren durch zwei psychologische Koryphäen in der Kriseninterventionsausbildung, die mich gefragt haben, ob ich mir vorstellen könnte, in emotional sehr belastenden Trainingssituationen mitzuwirken.
Und diese für mich sehr herausfordernde und für die Übenden sehr wirkungsvolle Methode hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und über die Jahre kamen immer mehr Institutionen und Auftraggeber hinzu.

Heute arbeiten Ute und ich bei KULTUR LE MUC mit einem Team von etwa 10 freiberuflichen Kolleg:innen zusammen, die regelmäßig für und mit uns im Einsatz sind und mit denen wir uns austauschen, trainieren und üben.

Wobei wir bei der Frage wären, was ein guter Schauspielpatient aus unserer Sicht mitbringen sollte:

Neben einer fundierten Schauspielausbildung ist für uns eine langjährige Berufserfahrung wichtig. Wir setzen zwar auch jüngere Kolleg:innen ein, vor allem in den Trainings zur Geburtshilfe, aber Lebens- und Berufserfahrung spiegeln sich natürlich in den vielfältigen Patientenfiguren, die wir darstellen. Zudem kommen viele der Figuren aus dem geriatrischen Bereich, die sich von erfahrenen Kolleg:innen leichter darstellen lassen, wobei professionelle Schauspieler problemlos eine Altersspanne von 25-30 Jahren „rauf oder runter“ authentisch darstellen können.

Daneben ist ein gutes Improvisationstalent gefragt, die Figuren basieren zwar immer auf einem festen Skript mit biografischen Daten und Charaktermerkmalen, wir müssen jedoch auch auf Fragen außer der Reihe reagieren können. Manchmal geht ein Gespräch in eine nicht für möglich gehaltene Richtung oder ein Beobachter aus dem Publikum taucht plötzlich als Mitspieler auf der Szene auf…

Eine weitere Anforderung ist eine hohe Sensibilität: Einmal benötigt der Schauspieler ein „Gespür“ dafür, welche Vorerfahrungen und Fähigkeiten sein Gegenüber besitzt, um den „Härtegrad“ des Spiels den Erwartungen anzupassen.
Zum anderen muss die Schauspielerin im Debriefing einen ehrlichen und intimen Einblick in die Gefühlswelt der gespielten Figur geben. Das ist auch für Schauspieler ungewöhnlich und erfordert in der Reflexion eine „Rückkehr“ in die Gedankenwelt der Figur für ein intensives, nicht wertendes Feedback, ohne in die eigentliche Analyse der Situation abzugleiten.

Wie erarbeitet man sich eine Patientenfigur nach einem gut ausgearbeiteten Skript?

Erst einmal verinnerliche ich die biografischen Details der Figur, das ist vergleichbar mit dem klassischen Textlernen. Ich muss wichtige Daten aus dem Leben, Namen und Alter von Eltern, Kindern und wichtigen Bezugspersonen kennen. Ich muss mir Bilder und Begriffe aus dem sozialen Umfeld der Person erarbeiten und die berufliche Situation genauestens kennen.
Gerade weil der Beruf sehr prägend für einen Menschen ist und oft Grundlage eines ersten Small Talks ist, sollte ich mit den beruflichen Details und passenden Fachbegriffen vertraut sein.

Dazu sollte ich mir Gedanken über die Ressourcen der Person machen: Welche einschneidenden Erlebnisse gab es in der Vergangenheit, welche Krisen konnten mit welcher Unterstützung überwunden werden?

Im nächsten Schritt recherchieren wir das Krankheitsbild mit allen Symptomen und vor allem den Auswirkungen auf die Psyche der Figur. Hier kommt uns die Rollen-Arbeit vom Theater zu Gute, wir nennen das „Von Außen nach Innen“ zu arbeiten, d.h. wenn ich mir eine körperliche Einschränkung wie eine Herzinsuffizienz mit dadurch verminderter Lungenfunktion durch eine flache Atmung erarbeite, hat das immer auch Auswirkungen auf die Gefühls- und Gedankenwelt, in diesem Fall vielleicht eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit oder eine gewisse Angst vor Überforderung.

Noch größere Auswirkungen auf die Psyche und die Kommunikationsfähigkeit haben Lähmungen nach einem Schlaganfall oder die Einschränkungen einer Demenzerkrankung, wenn beispielsweise das Blickfeld eingeschränkt oder wie bei einem Neclect einseitig „ausgeblendet“ wird.

Interessant ist auch die Darstellung einer Mehrfachbelastung, beispielsweise starke Schmerzen durch eine Gallenkolik und zusätzlich eine extrem trockene und juckende Haut oder Entzugserscheinungen.

Ich erinnere mich gerne an die Besprechung einer Examensprüfung an einer Pflegefachschule, als die Zusammenstellung des gewünschten Krankheitsbildes ein wenig einer Restaurantbestellung ähnelte:
Herzlich willkommen, was darf es denn sein? Patient 78 Jahre, Grunderkrankung? Diabetes Typ 1, nein 2, schon insulinpflichtig? Jawohl. Dazu akut einmal Hüft-Tep links, sehr gute Wahl, mit Schmerzen auf der Rating-Skala von 3 bis 4, nein 6 bis 7? Da traut sich jemand was… Darf es noch etwas mehr sein? Okay, on top noch Parkinson. Hab ich notiert. Darf es noch ein mittlerer

Tremor zur Parkinson-Erkrankung sein? Wunderbar, geben Sie mir zwei Tage Zeit, der Patient wird dann geliefert!

Humor sollte in der Pflege und in der Simulation auch nicht zu kurz kommen!

Bei der Darstellung von Krankheitsbildern hilft uns natürlich die Beobachtung „echter“ Patienten, wobei mir meine Erfahrungen aus dem Krankentransport enorm helfen, die ich auch gerne an meine Kolleg:innen weiter gebe.

Und daneben ist das Netz voll von Videos und Erfahrungsberichten von Menschen, die schon die kuriosesten Dinge erlebt haben. Wir tauschen uns häufig im Team über die gespielten Figuren und Settings aus und profitieren so von den Erfahrungen der gesamten Gruppe und dem Input durch viele Dozent:innen.

Der größte Faktor bei der Erarbeitung eines Krankheitsbildes oder einer psychischen Beeinträchtigung ist natürlich unsere Fantasie. In meiner Vorstellung imaginiere ich starke Schmerzen, Zwänge, depressive Schübe und das (klingt jetzt komisch, ist aber so) kann auch sehr viel Spass machen. Denn diese Erfahrung, auch schmerzhafte und leidvolle Momente zu erleben, machen die Vielfalt des Schauspielerberufs aus. Ich kann vollkommen eintauchen in einen anderen Zustand und diesen glücklicherweise nach dem Training wieder verlassen.

Und wie am Theater oder bei Fernsehproduktionen spielt natürlich auch das Kostüm eine große Rolle, ich wechsle gerne bei Figurenwechseln kleinere Details wie die Brille oder eine Jacke, um mich zu verändern. Ich stöbere auch gerne in Second-Hand-Läden, um einen passenden Schlafanzug für einen 70jährigen zu finden.

Wo sind wir tätig und auf welchen thematischen Schwerpunkten liegt unsere Arbeit?

Wir unterstützen mit unserer Expertise verschiedenste Institution, bisher vor allem in Bayern, mittlerweile aber auch deutschlandweit.

Vor allem kooperieren wir mit Pflegefachschulen für Examensprüfungen, für Simulationen von verschiedensten Fallbeispielen, aber auch in speziellen Kommunikationstrainings. Wir freuen uns, dass durch die generalistische Ausbildung Themen wie „Beziehung zum Patienten“, „Kommunikation auf Augenhöhe im Team“, „Stärkung der Pflegestandpunkte“ an vielen Schulen eine stärkere Gewichtung bekommen haben.

Weitere Themengebiete, alle Institutionen betreffend, sind das große Feld der Beratung bis hin zur ethischen Fallbesprechung. Diese Beratungen waren auch online möglich, was uns während der Pandemie sehr geholfen hat. Dazu kommen Themen wie das Überbringen schlechter Nachrichten, Begleitung am Lebensende, d.h. Kommunikation im Palliativen Umfeld oder emotional belastende Gespräche in der Krisenintervention.

Neben Pflegefachschulen sind wir an Hochschulen in der akademisierten Pflegeausbildung tätig, an Kliniken arbeiten wir oft mit Intensiv-Pflegekräften und an Akademien oder privaten Trainingsanbietern sind häufig Mediziner:innen oder interprofessionelle Teams die Zielgruppe.

Verstärkt sind wir in den letzten anderthalb Jahren auch in der Geburtshilfe im Einsatz, dort kommen wir nun zum Bereich der Hybrid-Simulationen, in diesem Fall mit einem künstlichen Uterus, der wie ein Rucksack vor den Bauch geschnallt wird und mit dem man die verschiedensten geburtshilflichen Notfälle simulieren kann.

Hier sind die technischen Anforderungen an die Ausstattung etwas höher, weil man sehr lebensecht mit Fruchtwasser oder Kunstblut arbeiten kann.
Dazu empfiehlt es sich für diese Trainings mit einem Knopf im Ohr der Schauspielpatientin zu arbeiten, um während der Simulation von außen Wehenabstände oder Veränderungen ansagen zu können. Natürlich wird auch hier nicht der Originalzeitraum einer Geburt über mehrere Stunden simuliert, aber eine Sequenz kann in der Geburtshilfe auch mal zwischen 20 und 40 Minuten dauern, was für die Schauspielerin enorm herausfordernd sein kann. Krampfanfälle, Wehen mit Stöhnen und Schreien erfordern eine gute schauspielerisch-stimmliche Technik und eine Pausenphase vor der nächsten Wiederholung.

Wie sieht üblicherweise unsere Zusammenarbeit mit einer Institution im Vorfeld eines Simulationstrainings aus?

Erstmal gibt es eine klassische Auftragsklärung mit der Institution über den Umfang, die Ziele und die Erwartungen an die simulationsgestützten Trainings. In der Regel wird das Fallbeispiel von den Dozent:innen entwickelt, wir ergänzen dann im Vorfeld Details, die aus unserer Sicht für die Figur wichtig sind oder fragen gezielter nach Symptomen oder auch internem Wissen, wenn wir beispielsweise selber Praxisanleitende oder Fachkräfte in der Simulation darstellen. Wichtig im Vorfeld ist es, den Erwartungshorizont an die Trainierenden festzulegen, d.h. welcher Wissensstand kann vorausgesetzt werden, welche Kompetenzen sollen mindestens in der Simulation gezeigt werden und wie sieht ein idealer Ablauf aus.

Ein Beispiel aus unserer Praxis:

Wir haben für die Christophorus Akademie in München zwei Fallbeispiele für medizinische Palliativfortbildungen entwickelt, bei denen wir für den Krankheitsverlauf Experten aus Medizin und Pflege hinzugezogen haben, um eine fundierte Krankengeschichte zu erstellen. Dieses Format sieht für das Training vor, dass die 6 oder 7 gesprächsführenden Mediziner:innen jeweils nur 4-5 Minuten mit dem Patienten agieren und das Gespräch dann von einem Kollegen übernommen wird, der inhaltlich anschließt.

Für die einzelnen Gesprächsabschnitte haben wir verschiedene Themen mit fließenden Übergängen definiert, sodass jeder Akteur seine eigene Herausforderung zu bearbeiten hat und das Gespräch am Ende doch einen kompletten inhaltlichen Bogen umfasst. So gibt es zu Beginn beispielsweise erstmal eine Verweigerungshaltung des Patienten, die geknackt werden muss, bis es nach einer Aufwärm- und Kennenlernphase dann zu intimen und brisanteren Themen kommt und am Ende Lösungsansätze forciert werden können.

Für uns ist solch ein halbstündiges Gespräch mit 6 oder 7 Gesprächspartnern sehr herausfordernd, einmal wegen der emotionalen Intensität und der Länge, dazu müssen wir uns im Debriefing an die einzelnen Gesprächsabschnitte erinnern, um ein gezieltes Feedback geben zu können.

Das Feedback aus Patientensicht ist überhaupt aus unserer Erfahrung der größte Benefit oder Bonus, den das schauspielgestützte Training bietet. Wir haben dafür eine spezielle schauspielerische Technik entwickelt, die wir auf der Bühne oder vor der Kamera gar nicht brauchen, nämlich einen Einblick in die Gefühlswelt der Figur während der Szene zu geben.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie das Feedback aus Patientensicht von den Trainierenden aufgenommen und auch eingefordert wird. Rückmeldungen zu Nähe und Distanz, zu bestimmten Formulierungen oder zu Tempo und Gesprächspausen sind enorm wertvoll, genau weil dieses Feedback in der Krankenhauspraxis nie eingeholt werden kann.

Wir gehen dafür noch mal gedanklich in die Figur zurück und versuchen, nur die Gedanken und Gefühle der Figur widerzuspiegeln, ohne nochmals die komplette Körperlichkeit der Figur auszuagieren.
Während der Szene versuche ich mir beispielsweise, an positiv oder negativ wahrgenommenen Stellen, gedankliche Marker zu setzen, über die ich hinterher sprechen will.

Die Rückmeldungen entsprechen häufig einem Bauchgefühl oder einem Impuls, den die Trainierenden auch gehabt haben, dem sie aus Zurückhaltung, Scham oder Zögerlichkeit aber nicht direkt gefolgt sind. Daher ist das Feedback aus Patientensicht häufig eine Methode, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Impulse zu erlangen.

Wo liegen, zusammengefasst, die Vorteile von Profis in der Simulation:

-Hier wäre erstmal der signifikante Unterschied zu „echten“ Patienten, die ja in Examens- oder Zwischenprüfungen auch teilweise eingesetzt werden: Der Einsatz von Schauspieler:innen ist ethisch vertretbar und dient dem Schutz der Patienten. Emotional belastende und schambehaftete Situationen in der Simulation zu durchleben, wäre für reale Patienten unangemessen.

Aus unserer Erfahrung gibt es auch bei Laiendarsteller:innen Grenzen oder Hemmungen bei der Darstellung verschiedener Themen oder auch beim Arbeitspensum eines langen Tages, diese Einschränkungen haben Profis in der Regel nicht.

-Belastbarkeit: Schauspieler sind es vom Theater oder Dreharbeiten gewohnt, eine große emotionale Bandbreite zu zeigen. Auch nach Unterbrechungen, Pausen oder Figurenwechseln ist sofort ein tiefer Wiedereinstieg möglich.

Hier möchte ich noch kurz auf eine Coachingtechnik zu sprechen kommen, die aus unserer Sicht noch zu wenig genutzt wird. Eine Unterbrechung, bei der nach einem inhaltlichen Input für den Trainierenden Vor- oder Zurückgespult wird. Dabei unterbricht der Coach die Szene, wenn die Trainierende ins Schwimmen gerät oder blockiert wirkt. Der Schauspielpatient geht in ein „Freeze“, hält also die Konzentration der Figur und wartet auf eine Anweisung, an welcher Stelle des Gesprächs wieder eingestiegen werden soll. Die Trainierende bekommt unterdessen einen Impuls zur Veränderung und man einigt sich auf eine Stelle im Gespräch, die gut für einen Wiedereinstieg geeignet ist. Der Schauspielpatient „vergisst“ sozusagen, was in der letzten Runde geschehen ist, spult inhaltlich zurück und geht vollkommen unvoreingenommen an die gewünschte Stelle.

Dadurch kann erreicht werden, dass man die frustrierende Erfahrung eines „Scheiterns“ vermeiden kann und die Trainierenden gelernte Inhalte gleich erfolgreich umsetzen und anwenden können. Genauso kann man auch „vorspulen“, um eine gute Beziehungsaufnahme abzukürzen und gleich zum Kern eines Problems zu kommen.

-Thema Qualitätssicherung: Profis garantieren eine Wiederholbarkeit mit gleichbleibendem Niveau zwischen allen Teilnehmenden. Dadurch entsteht eine Kontinuität und Vergleichbarkeit im Prozess, wichtig vor allem für standardisierte Prüfungen.

-Dosierung des Rollenspiels: Profis können in der Interaktion mit der Trainerin oder dem Coach die Anforderungen und den „Härtegrad“ des Rollenspiels bewusst festlegen und auch im Laufe des Tages verändern. Beispielsweise kann die Schwere eines Demenzgrades oder die Schwere einer Aphasie nach Ansage angepasst werden.

Eine solche Ansage könnte zum Beispiel sein: „Fahr die Auswirkungen der Demenz bei der nächsten Simulation um 20% herunter.“ Das können wir dann in der nächsten Runde umsetzen.

Wir versuchen unsere praktischen Erfahrungen weiterzugeben, deswegen engagieren wir uns auch hier bei SimNat e.V. für den Einsatz von schauspielgestützten Trainings. Auch die deutsche Palliativgesellschaft unterstützen wir bei öffentlichen Veranstaltungen mit unserer Expertise und stehen dort als Schauspiel-Patienten zur Anwendung von Pflegemaßnahmen zur Verfügung. Am 20. April 2023 beispielsweise wieder in Nürnberg beim 1. Bayerischen Palliativtag.
Dort halte ich einen Vortrag über das Führen von schwierigen Gesprächen und meine Kollegin Elisabeth Rass wird in den Genuß von verschiedenen Pflegemaßnahmen kommen und darüber Feedback geben.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Vortrag einen kurzen Einblick in unsere Arbeit geben können. Wir tun das, was wir tun, mit Leidenschaft. Wer mehr über uns erfahren will, kann sich auf der Homepage www.kultur-lemuc.de informieren oder mich direkt hier auf der Veranstaltung ansprechen.
Nach der Mittagspause werde ich mit meiner Kollegin Marion Freundorfer praxisnahe Einblicke in unsere Arbeit gewähren und freue mich schon auf ihre rege Beteiligung.

Kontakt:

KULTUR LE MUC Manuel Boecker Ute Reiber

Über 150 Fachkräfte aus Pflege und Medizin kamen am 03.März in Fulda zum Symposium des SimNat-Netzwerkes zusammen, um sich über neueste Entwicklungen im simulationsbasierten Lernen in der Pflege auszutauschen. Auch wir waren als Simulationsprofis natürlich dabei und haben in einem Vortrag und einem Workshop Einblicke in unsere Arbeit gegeben. Gemeinsam mit Marion Freundorfer wagte Manü Boecker in einem 90minütigen Workshop das Experiment, „ad hoc“ nach den Vorgaben des Fachpublikums eine Patientenfigur zu kreieren und direkt in einer spontan Simulation einzusetzen. Unser Vortrag „Profis in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten“ kann hier nachgelesen werden.

Professionelle Schauspieler:innen in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten

Herzlich willkommen zu meinem Vortrag „Professionelle Schauspieler:innen in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten“. Ich freue mich sehr über die Einladung hier zum Symposium, um über unsere Tätigkeit als Schauspielpatient:innen zu sprechen.
Vielen Dank an dieser Stelle an das Organisationsteam, das dieses Symposium mit viel Perfektion und Leidenschaft auf die Beine gestellt hat.

Meine Frau und Partnerin, Ute Reiber, und ich haben 2019 KULTUR LE MUC gegründet, seitdem konzentrieren wir uns fast ausschließlich auf den Bereich Simulation und Training.

Für die Tätigkeit als Schauspielpatient:innen gibt es keine klassische Ausbildung, ich will Ihnen deshalb kurz über unseren Werdegang als Schauspielprofis in medizinisch-pflegerischen Simulationen erzählen.
Ute und ich haben jeweils beide nach unserer dreijährigen Schauspielausbildung viele Jahre in Fest – oder Gastengagements an Theatern verbracht, Ute neben dem Schauspiel auch als Sängerin im Musicalbereich. Parallel zu unserer Bühnentätigkeit haben wir immer auch unterrichtet, beispielsweise Gesang, Improvisation oder Rollenarbeit an Schauspielschulen und Workshops und Seminare an verschiedensten Institutionen geleitet oder Inszenierungen mit Laientheatergruppen entwickelt.

Neben der Schauspielerei habe ich im Zivildienst eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert und vor einigen Jahren meine Kenntnisse im Krankentransport und Rettungsdienst wieder aufgefrischt. Der Alltag in Seniorenheimen und Krankenhäusern und vor allem viele Krankheitsbilder und „Patiententypen“ sind mir also sehr vertraut.

Ute hat neben ihrer Laufbahn als Schauspielerin Psychologie studiert und ihre Bachelorarbeit 2020 gleich genutzt, um eine Trainingsmaßnahme gegen Sexuelle Belästigung in der Pflege zu entwickeln. Dieses wichtige und wirkungsvolle eintägige Seminar ist mittlerweile fester Bestandteil eines Bildungszentrums in Bayern.

Wie kam es bei uns zum Einstieg in den Bereich „Simulation in Pflege und Medizin“?

Nach der Schauspielausbildung habe ich ja nicht gleich davon geträumt, in einer OSCE Examensprüfung 20 Mal in Folge im Flügelhemdchen die Verwirrtheit eines Demenzpatienten darzustellen.

Mein erster Kontakt mit dieser Methode entstand vor etwa 15 Jahren durch zwei psychologische Koryphäen in der Kriseninterventionsausbildung, die mich gefragt haben, ob ich mir vorstellen könnte, in emotional sehr belastenden Trainingssituationen mitzuwirken.
Und diese für mich sehr herausfordernde und für die Übenden sehr wirkungsvolle Methode hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und über die Jahre kamen immer mehr Institutionen und Auftraggeber hinzu.

Heute arbeiten Ute und ich bei KULTUR LE MUC mit einem Team von etwa 10 freiberuflichen Kolleg:innen zusammen, die regelmäßig für und mit uns im Einsatz sind und mit denen wir uns austauschen, trainieren und üben.

Wobei wir bei der Frage wären, was ein guter Schauspielpatient aus unserer Sicht mitbringen sollte:

Neben einer fundierten Schauspielausbildung ist für uns eine langjährige Berufserfahrung wichtig. Wir setzen zwar auch jüngere Kolleg:innen ein, vor allem in den Trainings zur Geburtshilfe, aber Lebens- und Berufserfahrung spiegeln sich natürlich in den vielfältigen Patientenfiguren, die wir darstellen. Zudem kommen viele der Figuren aus dem geriatrischen Bereich, die sich von erfahrenen Kolleg:innen leichter darstellen lassen, wobei professionelle Schauspieler problemlos eine Altersspanne von 25-30 Jahren „rauf oder runter“ authentisch darstellen können.

Daneben ist ein gutes Improvisationstalent gefragt, die Figuren basieren zwar immer auf einem festen Skript mit biografischen Daten und Charaktermerkmalen, wir müssen jedoch auch auf Fragen außer der Reihe reagieren können. Manchmal geht ein Gespräch in eine nicht für möglich gehaltene Richtung oder ein Beobachter aus dem Publikum taucht plötzlich als Mitspieler auf der Szene auf…

Eine weitere Anforderung ist eine hohe Sensibilität: Einmal benötigt der Schauspieler ein „Gespür“ dafür, welche Vorerfahrungen und Fähigkeiten sein Gegenüber besitzt, um den „Härtegrad“ des Spiels den Erwartungen anzupassen.
Zum anderen muss die Schauspielerin im Debriefing einen ehrlichen und intimen Einblick in die Gefühlswelt der gespielten Figur geben. Das ist auch für Schauspieler ungewöhnlich und erfordert in der Reflexion eine „Rückkehr“ in die Gedankenwelt der Figur für ein intensives, nicht wertendes Feedback, ohne in die eigentliche Analyse der Situation abzugleiten.

Wie erarbeitet man sich eine Patientenfigur nach einem gut ausgearbeiteten Skript?

Erst einmal verinnerliche ich die biografischen Details der Figur, das ist vergleichbar mit dem klassischen Textlernen. Ich muss wichtige Daten aus dem Leben, Namen und Alter von Eltern, Kindern und wichtigen Bezugspersonen kennen. Ich muss mir Bilder und Begriffe aus dem sozialen Umfeld der Person erarbeiten und die berufliche Situation genauestens kennen.
Gerade weil der Beruf sehr prägend für einen Menschen ist und oft Grundlage eines ersten Small Talks ist, sollte ich mit den beruflichen Details und passenden Fachbegriffen vertraut sein.

Dazu sollte ich mir Gedanken über die Ressourcen der Person machen: Welche einschneidenden Erlebnisse gab es in der Vergangenheit, welche Krisen konnten mit welcher Unterstützung überwunden werden?

Im nächsten Schritt recherchieren wir das Krankheitsbild mit allen Symptomen und vor allem den Auswirkungen auf die Psyche der Figur. Hier kommt uns die Rollen-Arbeit vom Theater zu Gute, wir nennen das „Von Außen nach Innen“ zu arbeiten, d.h. wenn ich mir eine körperliche Einschränkung wie eine Herzinsuffizienz mit dadurch verminderter Lungenfunktion durch eine flache Atmung erarbeite, hat das immer auch Auswirkungen auf die Gefühls- und Gedankenwelt, in diesem Fall vielleicht eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit oder eine gewisse Angst vor Überforderung.

Noch größere Auswirkungen auf die Psyche und die Kommunikationsfähigkeit haben Lähmungen nach einem Schlaganfall oder die Einschränkungen einer Demenzerkrankung, wenn beispielsweise das Blickfeld eingeschränkt oder wie bei einem Neclect einseitig „ausgeblendet“ wird.

Interessant ist auch die Darstellung einer Mehrfachbelastung, beispielsweise starke Schmerzen durch eine Gallenkolik und zusätzlich eine extrem trockene und juckende Haut oder Entzugserscheinungen.

Ich erinnere mich gerne an die Besprechung einer Examensprüfung an einer Pflegefachschule, als die Zusammenstellung des gewünschten Krankheitsbildes ein wenig einer Restaurantbestellung ähnelte:
Herzlich willkommen, was darf es denn sein? Patient 78 Jahre, Grunderkrankung? Diabetes Typ 1, nein 2, schon insulinpflichtig? Jawohl. Dazu akut einmal Hüft-Tep links, sehr gute Wahl, mit Schmerzen auf der Rating-Skala von 3 bis 4, nein 6 bis 7? Da traut sich jemand was… Darf es noch etwas mehr sein? Okay, on top noch Parkinson. Hab ich notiert. Darf es noch ein mittlerer

Tremor zur Parkinson-Erkrankung sein? Wunderbar, geben Sie mir zwei Tage Zeit, der Patient wird dann geliefert!

Humor sollte in der Pflege und in der Simulation auch nicht zu kurz kommen!

Bei der Darstellung von Krankheitsbildern hilft uns natürlich die Beobachtung „echter“ Patienten, wobei mir meine Erfahrungen aus dem Krankentransport enorm helfen, die ich auch gerne an meine Kolleg:innen weiter gebe.

Und daneben ist das Netz voll von Videos und Erfahrungsberichten von Menschen, die schon die kuriosesten Dinge erlebt haben. Wir tauschen uns häufig im Team über die gespielten Figuren und Settings aus und profitieren so von den Erfahrungen der gesamten Gruppe und dem Input durch viele Dozent:innen.

Der größte Faktor bei der Erarbeitung eines Krankheitsbildes oder einer psychischen Beeinträchtigung ist natürlich unsere Fantasie. In meiner Vorstellung imaginiere ich starke Schmerzen, Zwänge, depressive Schübe und das (klingt jetzt komisch, ist aber so) kann auch sehr viel Spass machen. Denn diese Erfahrung, auch schmerzhafte und leidvolle Momente zu erleben, machen die Vielfalt des Schauspielerberufs aus. Ich kann vollkommen eintauchen in einen anderen Zustand und diesen glücklicherweise nach dem Training wieder verlassen.

Und wie am Theater oder bei Fernsehproduktionen spielt natürlich auch das Kostüm eine große Rolle, ich wechsle gerne bei Figurenwechseln kleinere Details wie die Brille oder eine Jacke, um mich zu verändern. Ich stöbere auch gerne in Second-Hand-Läden, um einen passenden Schlafanzug für einen 70jährigen zu finden.

Wo sind wir tätig und auf welchen thematischen Schwerpunkten liegt unsere Arbeit?

Wir unterstützen mit unserer Expertise verschiedenste Institution, bisher vor allem in Bayern, mittlerweile aber auch deutschlandweit.

Vor allem kooperieren wir mit Pflegefachschulen für Examensprüfungen, für Simulationen von verschiedensten Fallbeispielen, aber auch in speziellen Kommunikationstrainings. Wir freuen uns, dass durch die generalistische Ausbildung Themen wie „Beziehung zum Patienten“, „Kommunikation auf Augenhöhe im Team“, „Stärkung der Pflegestandpunkte“ an vielen Schulen eine stärkere Gewichtung bekommen haben.

Weitere Themengebiete, alle Institutionen betreffend, sind das große Feld der Beratung bis hin zur ethischen Fallbesprechung. Diese Beratungen waren auch online möglich, was uns während der Pandemie sehr geholfen hat. Dazu kommen Themen wie das Überbringen schlechter Nachrichten, Begleitung am Lebensende, d.h. Kommunikation im Palliativen Umfeld oder emotional belastende Gespräche in der Krisenintervention.

Neben Pflegefachschulen sind wir an Hochschulen in der akademisierten Pflegeausbildung tätig, an Kliniken arbeiten wir oft mit Intensiv-Pflegekräften und an Akademien oder privaten Trainingsanbietern sind häufig Mediziner:innen oder interprofessionelle Teams die Zielgruppe.

Verstärkt sind wir in den letzten anderthalb Jahren auch in der Geburtshilfe im Einsatz, dort kommen wir nun zum Bereich der Hybrid-Simulationen, in diesem Fall mit einem künstlichen Uterus, der wie ein Rucksack vor den Bauch geschnallt wird und mit dem man die verschiedensten geburtshilflichen Notfälle simulieren kann.

Hier sind die technischen Anforderungen an die Ausstattung etwas höher, weil man sehr lebensecht mit Fruchtwasser oder Kunstblut arbeiten kann.
Dazu empfiehlt es sich für diese Trainings mit einem Knopf im Ohr der Schauspielpatientin zu arbeiten, um während der Simulation von außen Wehenabstände oder Veränderungen ansagen zu können. Natürlich wird auch hier nicht der Originalzeitraum einer Geburt über mehrere Stunden simuliert, aber eine Sequenz kann in der Geburtshilfe auch mal zwischen 20 und 40 Minuten dauern, was für die Schauspielerin enorm herausfordernd sein kann. Krampfanfälle, Wehen mit Stöhnen und Schreien erfordern eine gute schauspielerisch-stimmliche Technik und eine Pausenphase vor der nächsten Wiederholung.

Wie sieht üblicherweise unsere Zusammenarbeit mit einer Institution im Vorfeld eines Simulationstrainings aus?

Erstmal gibt es eine klassische Auftragsklärung mit der Institution über den Umfang, die Ziele und die Erwartungen an die simulationsgestützten Trainings. In der Regel wird das Fallbeispiel von den Dozent:innen entwickelt, wir ergänzen dann im Vorfeld Details, die aus unserer Sicht für die Figur wichtig sind oder fragen gezielter nach Symptomen oder auch internem Wissen, wenn wir beispielsweise selber Praxisanleitende oder Fachkräfte in der Simulation darstellen. Wichtig im Vorfeld ist es, den Erwartungshorizont an die Trainierenden festzulegen, d.h. welcher Wissensstand kann vorausgesetzt werden, welche Kompetenzen sollen mindestens in der Simulation gezeigt werden und wie sieht ein idealer Ablauf aus.

Ein Beispiel aus unserer Praxis:

Wir haben für die Christophorus Akademie in München zwei Fallbeispiele für medizinische Palliativfortbildungen entwickelt, bei denen wir für den Krankheitsverlauf Experten aus Medizin und Pflege hinzugezogen haben, um eine fundierte Krankengeschichte zu erstellen. Dieses Format sieht für das Training vor, dass die 6 oder 7 gesprächsführenden Mediziner:innen jeweils nur 4-5 Minuten mit dem Patienten agieren und das Gespräch dann von einem Kollegen übernommen wird, der inhaltlich anschließt.

Für die einzelnen Gesprächsabschnitte haben wir verschiedene Themen mit fließenden Übergängen definiert, sodass jeder Akteur seine eigene Herausforderung zu bearbeiten hat und das Gespräch am Ende doch einen kompletten inhaltlichen Bogen umfasst. So gibt es zu Beginn beispielsweise erstmal eine Verweigerungshaltung des Patienten, die geknackt werden muss, bis es nach einer Aufwärm- und Kennenlernphase dann zu intimen und brisanteren Themen kommt und am Ende Lösungsansätze forciert werden können.

Für uns ist solch ein halbstündiges Gespräch mit 6 oder 7 Gesprächspartnern sehr herausfordernd, einmal wegen der emotionalen Intensität und der Länge, dazu müssen wir uns im Debriefing an die einzelnen Gesprächsabschnitte erinnern, um ein gezieltes Feedback geben zu können.

Das Feedback aus Patientensicht ist überhaupt aus unserer Erfahrung der größte Benefit oder Bonus, den das schauspielgestützte Training bietet. Wir haben dafür eine spezielle schauspielerische Technik entwickelt, die wir auf der Bühne oder vor der Kamera gar nicht brauchen, nämlich einen Einblick in die Gefühlswelt der Figur während der Szene zu geben.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie das Feedback aus Patientensicht von den Trainierenden aufgenommen und auch eingefordert wird. Rückmeldungen zu Nähe und Distanz, zu bestimmten Formulierungen oder zu Tempo und Gesprächspausen sind enorm wertvoll, genau weil dieses Feedback in der Krankenhauspraxis nie eingeholt werden kann.

Wir gehen dafür noch mal gedanklich in die Figur zurück und versuchen, nur die Gedanken und Gefühle der Figur widerzuspiegeln, ohne nochmals die komplette Körperlichkeit der Figur auszuagieren.
Während der Szene versuche ich mir beispielsweise, an positiv oder negativ wahrgenommenen Stellen, gedankliche Marker zu setzen, über die ich hinterher sprechen will.

Die Rückmeldungen entsprechen häufig einem Bauchgefühl oder einem Impuls, den die Trainierenden auch gehabt haben, dem sie aus Zurückhaltung, Scham oder Zögerlichkeit aber nicht direkt gefolgt sind. Daher ist das Feedback aus Patientensicht häufig eine Methode, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Impulse zu erlangen.

Wo liegen, zusammengefasst, die Vorteile von Profis in der Simulation:

-Hier wäre erstmal der signifikante Unterschied zu „echten“ Patienten, die ja in Examens- oder Zwischenprüfungen auch teilweise eingesetzt werden: Der Einsatz von Schauspieler:innen ist ethisch vertretbar und dient dem Schutz der Patienten. Emotional belastende und schambehaftete Situationen in der Simulation zu durchleben, wäre für reale Patienten unangemessen.

Aus unserer Erfahrung gibt es auch bei Laiendarsteller:innen Grenzen oder Hemmungen bei der Darstellung verschiedener Themen oder auch beim Arbeitspensum eines langen Tages, diese Einschränkungen haben Profis in der Regel nicht.

-Belastbarkeit: Schauspieler sind es vom Theater oder Dreharbeiten gewohnt, eine große emotionale Bandbreite zu zeigen. Auch nach Unterbrechungen, Pausen oder Figurenwechseln ist sofort ein tiefer Wiedereinstieg möglich.

Hier möchte ich noch kurz auf eine Coachingtechnik zu sprechen kommen, die aus unserer Sicht noch zu wenig genutzt wird. Eine Unterbrechung, bei der nach einem inhaltlichen Input für den Trainierenden Vor- oder Zurückgespult wird. Dabei unterbricht der Coach die Szene, wenn die Trainierende ins Schwimmen gerät oder blockiert wirkt. Der Schauspielpatient geht in ein „Freeze“, hält also die Konzentration der Figur und wartet auf eine Anweisung, an welcher Stelle des Gesprächs wieder eingestiegen werden soll. Die Trainierende bekommt unterdessen einen Impuls zur Veränderung und man einigt sich auf eine Stelle im Gespräch, die gut für einen Wiedereinstieg geeignet ist. Der Schauspielpatient „vergisst“ sozusagen, was in der letzten Runde geschehen ist, spult inhaltlich zurück und geht vollkommen unvoreingenommen an die gewünschte Stelle.

Dadurch kann erreicht werden, dass man die frustrierende Erfahrung eines „Scheiterns“ vermeiden kann und die Trainierenden gelernte Inhalte gleich erfolgreich umsetzen und anwenden können. Genauso kann man auch „vorspulen“, um eine gute Beziehungsaufnahme abzukürzen und gleich zum Kern eines Problems zu kommen.

-Thema Qualitätssicherung: Profis garantieren eine Wiederholbarkeit mit gleichbleibendem Niveau zwischen allen Teilnehmenden. Dadurch entsteht eine Kontinuität und Vergleichbarkeit im Prozess, wichtig vor allem für standardisierte Prüfungen.

-Dosierung des Rollenspiels: Profis können in der Interaktion mit der Trainerin oder dem Coach die Anforderungen und den „Härtegrad“ des Rollenspiels bewusst festlegen und auch im Laufe des Tages verändern. Beispielsweise kann die Schwere eines Demenzgrades oder die Schwere einer Aphasie nach Ansage angepasst werden.

Eine solche Ansage könnte zum Beispiel sein: „Fahr die Auswirkungen der Demenz bei der nächsten Simulation um 20% herunter.“ Das können wir dann in der nächsten Runde umsetzen.

Wir versuchen unsere praktischen Erfahrungen weiterzugeben, deswegen engagieren wir uns auch hier bei SimNat e.V. für den Einsatz von schauspielgestützten Trainings. Auch die deutsche Palliativgesellschaft unterstützen wir bei öffentlichen Veranstaltungen mit unserer Expertise und stehen dort als Schauspiel-Patienten zur Anwendung von Pflegemaßnahmen zur Verfügung. Am 20. April 2023 beispielsweise wieder in Nürnberg beim 1. Bayerischen Palliativtag.
Dort halte ich einen Vortrag über das Führen von schwierigen Gesprächen und meine Kollegin Elisabeth Rass wird in den Genuß von verschiedenen Pflegemaßnahmen kommen und darüber Feedback geben.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Vortrag einen kurzen Einblick in unsere Arbeit geben können. Wir tun das, was wir tun, mit Leidenschaft. Wer mehr über uns erfahren will, kann sich auf der Homepage www.kultur-lemuc.de informieren oder mich direkt hier auf der Veranstaltung ansprechen.
Nach der Mittagspause werde ich mit meiner Kollegin Marion Freundorfer praxisnahe Einblicke in unsere Arbeit gewähren und freue mich schon auf ihre rege Beteiligung.

Kontakt:

KULTUR LE MUC Manuel Boecker Ute Reiber

Über 150 Fachkräfte aus Pflege und Medizin kamen am 03.März in Fulda zum Symposium des SimNat-Netzwerkes zusammen, um sich über neueste Entwicklungen im simulationsbasierten Lernen in der Pflege auszutauschen. Auch wir waren als Simulationsprofis natürlich dabei und haben in einem Vortrag und einem Workshop Einblicke in unsere Arbeit gegeben. Gemeinsam mit Marion Freundorfer wagte Manü Boecker in einem 90minütigen Workshop das Experiment, „ad hoc“ nach den Vorgaben des Fachpublikums eine Patientenfigur zu kreieren und direkt in einer spontan Simulation einzusetzen. Unser Vortrag „Profis in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten“ kann hier nachgelesen werden.   Professionelle Schauspieler:innen in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten Herzlich willkommen zu meinem Vortrag „Professionelle Schauspieler:innen in der Simulation – Vorteile und Einsatzmöglichkeiten“. Ich freue mich sehr über die Einladung hier zum Symposium, um über unsere Tätigkeit als Schauspielpatient:innen zu sprechen. Vielen Dank an dieser Stelle an das Organisationsteam, das dieses Symposium mit viel Perfektion und Leidenschaft auf die Beine gestellt hat. Meine Frau und Partnerin, Ute Reiber, und ich haben 2019 KULTUR LE MUC gegründet, seitdem konzentrieren wir uns fast ausschließlich auf den Bereich Simulation und Training. Für die Tätigkeit als Schauspielpatient:innen gibt es keine klassische Ausbildung, ich will Ihnen deshalb kurz über unseren Werdegang als Schauspielprofis in medizinisch-pflegerischen Simulationen erzählen. Ute und ich haben jeweils beide nach unserer dreijährigen Schauspielausbildung viele Jahre in Fest – oder Gastengagements an Theatern verbracht, Ute neben dem Schauspiel auch als Sängerin im Musicalbereich. Parallel zu unserer Bühnentätigkeit haben wir immer auch unterrichtet, beispielsweise Gesang, Improvisation oder Rollenarbeit an Schauspielschulen und Workshops und Seminare an verschiedensten Institutionen geleitet oder Inszenierungen mit Laientheatergruppen entwickelt. Neben der Schauspielerei habe ich im Zivildienst eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert und vor einigen Jahren meine Kenntnisse im Krankentransport und Rettungsdienst wieder aufgefrischt. Der Alltag in Seniorenheimen und Krankenhäusern und vor allem viele Krankheitsbilder und „Patiententypen“ sind mir also sehr vertraut. Ute hat neben ihrer Laufbahn als Schauspielerin Psychologie studiert und ihre Bachelorarbeit 2020 gleich genutzt, um eine Trainingsmaßnahme gegen Sexuelle Belästigung in der Pflege zu entwickeln. Dieses wichtige und wirkungsvolle eintägige Seminar ist mittlerweile fester Bestandteil eines Bildungszentrums in Bayern. Wie kam es bei uns zum Einstieg in den Bereich „Simulation in Pflege und Medizin“? Nach der Schauspielausbildung habe ich ja nicht gleich davon geträumt, in einer OSCE Examensprüfung 20 Mal in Folge im Flügelhemdchen die Verwirrtheit eines Demenzpatienten darzustellen. Mein erster Kontakt mit dieser Methode entstand vor etwa 15 Jahren durch zwei psychologische Koryphäen in der Kriseninterventionsausbildung, die mich gefragt haben, ob ich mir vorstellen könnte, in emotional sehr belastenden Trainingssituationen mitzuwirken. Und diese für mich sehr herausfordernde und für die Übenden sehr wirkungsvolle Methode hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und über die Jahre kamen immer mehr Institutionen und Auftraggeber hinzu. Heute arbeiten Ute und ich bei KULTUR LE MUC mit einem Team von etwa 10 freiberuflichen Kolleg:innen zusammen, die regelmäßig für und mit uns im Einsatz sind und mit denen wir uns austauschen, trainieren und üben. Wobei wir bei der Frage wären, was ein guter Schauspielpatient aus unserer Sicht mitbringen sollte: Neben einer fundierten Schauspielausbildung ist für uns eine langjährige Berufserfahrung wichtig. Wir setzen zwar auch jüngere Kolleg:innen ein, vor allem in den Trainings zur Geburtshilfe, aber Lebens- und Berufserfahrung spiegeln sich natürlich in den vielfältigen Patientenfiguren, die wir darstellen. Zudem kommen viele der Figuren aus dem geriatrischen Bereich, die sich von erfahrenen Kolleg:innen leichter darstellen lassen, wobei professionelle Schauspieler problemlos eine Altersspanne von 25-30 Jahren „rauf oder runter“ authentisch darstellen können. Daneben ist ein gutes Improvisationstalent gefragt, die Figuren basieren zwar immer auf einem festen Skript mit biografischen Daten und Charaktermerkmalen, wir müssen jedoch auch auf Fragen außer der Reihe reagieren können. Manchmal geht ein Gespräch in eine nicht für möglich gehaltene Richtung oder ein Beobachter aus dem Publikum taucht plötzlich als Mitspieler auf der Szene auf… Eine weitere Anforderung ist eine hohe Sensibilität: Einmal benötigt der Schauspieler ein „Gespür“ dafür, welche Vorerfahrungen und Fähigkeiten sein Gegenüber besitzt, um den „Härtegrad“ des Spiels den Erwartungen anzupassen. Zum anderen muss die Schauspielerin im Debriefing einen ehrlichen und intimen Einblick in die Gefühlswelt der gespielten Figur geben. Das ist auch für Schauspieler ungewöhnlich und erfordert in der Reflexion eine „Rückkehr“ in die Gedankenwelt der Figur für ein intensives, nicht wertendes Feedback, ohne in die eigentliche Analyse der Situation abzugleiten. Wie erarbeitet man sich eine Patientenfigur nach einem gut ausgearbeiteten Skript? Erst einmal verinnerliche ich die biografischen Details der Figur, das ist vergleichbar mit dem klassischen Textlernen. Ich muss wichtige Daten aus dem Leben, Namen und Alter von Eltern, Kindern und wichtigen Bezugspersonen kennen. Ich muss mir Bilder und Begriffe aus dem sozialen Umfeld der Person erarbeiten und die berufliche Situation genauestens kennen. Gerade weil der Beruf sehr prägend für einen Menschen ist und oft Grundlage eines ersten Small Talks ist, sollte ich mit den beruflichen Details und passenden Fachbegriffen vertraut sein. Dazu sollte ich mir Gedanken über die Ressourcen der Person machen: Welche einschneidenden Erlebnisse gab es in der Vergangenheit, welche Krisen konnten mit welcher Unterstützung überwunden werden? Im nächsten Schritt recherchieren wir das Krankheitsbild mit allen Symptomen und vor allem den Auswirkungen auf die Psyche der Figur. Hier kommt uns die Rollen-Arbeit vom Theater zu Gute, wir nennen das „Von Außen nach Innen“ zu arbeiten, d.h. wenn ich mir eine körperliche Einschränkung wie eine Herzinsuffizienz mit dadurch verminderter Lungenfunktion durch eine flache Atmung erarbeite, hat das immer auch Auswirkungen auf die Gefühls- und Gedankenwelt, in diesem Fall vielleicht eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit oder eine gewisse Angst vor Überforderung. Noch größere Auswirkungen auf die Psyche und die Kommunikationsfähigkeit haben Lähmungen nach einem Schlaganfall oder die Einschränkungen einer Demenzerkrankung, wenn beispielsweise das Blickfeld eingeschränkt oder wie bei einem Neclect einseitig „ausgeblendet“ wird. Interessant ist auch die Darstellung einer Mehrfachbelastung, beispielsweise starke Schmerzen durch eine Gallenkolik und zusätzlich eine extrem trockene und juckende Haut oder Entzugserscheinungen. Ich erinnere mich gerne an die Besprechung einer Examensprüfung an einer Pflegefachschule, als die Zusammenstellung des gewünschten Krankheitsbildes ein wenig einer Restaurantbestellung ähnelte: Herzlich willkommen, was darf es denn sein? Patient 78 Jahre, Grunderkrankung? Diabetes Typ 1, nein 2, schon insulinpflichtig? Jawohl. Dazu akut einmal Hüft-Tep links, sehr gute Wahl, mit Schmerzen auf der Rating-Skala von 3 bis 4, nein 6 bis 7? Da traut sich jemand was… Darf es noch etwas mehr sein? Okay, on top noch Parkinson. Hab ich notiert. Darf es noch ein mittlerer Tremor zur Parkinson-Erkrankung sein? Wunderbar, geben Sie mir zwei Tage Zeit, der Patient wird dann geliefert! Humor sollte in der Pflege und in der Simulation auch nicht zu kurz kommen! Bei der Darstellung von Krankheitsbildern hilft uns natürlich die Beobachtung „echter“ Patienten, wobei mir meine Erfahrungen aus dem Krankentransport enorm helfen, die ich auch gerne an meine Kolleg:innen weiter gebe. Und daneben ist das Netz voll von Videos und Erfahrungsberichten von Menschen, die schon die kuriosesten Dinge erlebt haben. Wir tauschen uns häufig im Team über die gespielten Figuren und Settings aus und profitieren so von den Erfahrungen der gesamten Gruppe und dem Input durch viele Dozent:innen. Der größte Faktor bei der Erarbeitung eines Krankheitsbildes oder einer psychischen Beeinträchtigung ist natürlich unsere Fantasie. In meiner Vorstellung imaginiere ich starke Schmerzen, Zwänge, depressive Schübe und das (klingt jetzt komisch, ist aber so) kann auch sehr viel Spass machen. Denn diese Erfahrung, auch schmerzhafte und leidvolle Momente zu erleben, machen die Vielfalt des Schauspielerberufs aus. Ich kann vollkommen eintauchen in einen anderen Zustand und diesen glücklicherweise nach dem Training wieder verlassen. Und wie am Theater oder bei Fernsehproduktionen spielt natürlich auch das Kostüm eine große Rolle, ich wechsle gerne bei Figurenwechseln kleinere Details wie die Brille oder eine Jacke, um mich zu verändern. Ich stöbere auch gerne in Second-Hand-Läden, um einen passenden Schlafanzug für einen 70jährigen zu finden. Wo sind wir tätig und auf welchen thematischen Schwerpunkten liegt unsere Arbeit? Wir unterstützen mit unserer Expertise verschiedenste Institution, bisher vor allem in Bayern, mittlerweile aber auch deutschlandweit. Vor allem kooperieren wir mit Pflegefachschulen für Examensprüfungen, für Simulationen von verschiedensten Fallbeispielen, aber auch in speziellen Kommunikationstrainings. Wir freuen uns, dass durch die generalistische Ausbildung Themen wie „Beziehung zum Patienten“, „Kommunikation auf Augenhöhe im Team“, „Stärkung der Pflegestandpunkte“ an vielen Schulen eine stärkere Gewichtung bekommen haben. Weitere Themengebiete, alle Institutionen betreffend, sind das große Feld der Beratung bis hin zur ethischen Fallbesprechung. Diese Beratungen waren auch online möglich, was uns während der Pandemie sehr geholfen hat. Dazu kommen Themen wie das Überbringen schlechter Nachrichten, Begleitung am Lebensende, d.h. Kommunikation im Palliativen Umfeld oder emotional belastende Gespräche in der Krisenintervention. Neben Pflegefachschulen sind wir an Hochschulen in der akademisierten Pflegeausbildung tätig, an Kliniken arbeiten wir oft mit Intensiv-Pflegekräften und an Akademien oder privaten Trainingsanbietern sind häufig Mediziner:innen oder interprofessionelle Teams die Zielgruppe. Verstärkt sind wir in den letzten anderthalb Jahren auch in der Geburtshilfe im Einsatz, dort kommen wir nun zum Bereich der Hybrid-Simulationen, in diesem Fall mit einem künstlichen Uterus, der wie ein Rucksack vor den Bauch geschnallt wird und mit dem man die verschiedensten geburtshilflichen Notfälle simulieren kann. Hier sind die technischen Anforderungen an die Ausstattung etwas höher, weil man sehr lebensecht mit Fruchtwasser oder Kunstblut arbeiten kann. Dazu empfiehlt es sich für diese Trainings mit einem Knopf im Ohr der Schauspielpatientin zu arbeiten, um während der Simulation von außen Wehenabstände oder Veränderungen ansagen zu können. Natürlich wird auch hier nicht der Originalzeitraum einer Geburt über mehrere Stunden simuliert, aber eine Sequenz kann in der Geburtshilfe auch mal zwischen 20 und 40 Minuten dauern, was für die Schauspielerin enorm herausfordernd sein kann. Krampfanfälle, Wehen mit Stöhnen und Schreien erfordern eine gute schauspielerisch-stimmliche Technik und eine Pausenphase vor der nächsten Wiederholung. Wie sieht üblicherweise unsere Zusammenarbeit mit einer Institution im Vorfeld eines Simulationstrainings aus? Erstmal gibt es eine klassische Auftragsklärung mit der Institution über den Umfang, die Ziele und die Erwartungen an die simulationsgestützten Trainings. In der Regel wird das Fallbeispiel von den Dozent:innen entwickelt, wir ergänzen dann im Vorfeld Details, die aus unserer Sicht für die Figur wichtig sind oder fragen gezielter nach Symptomen oder auch internem Wissen, wenn wir beispielsweise selber Praxisanleitende oder Fachkräfte in der Simulation darstellen. Wichtig im Vorfeld ist es, den Erwartungshorizont an die Trainierenden festzulegen, d.h. welcher Wissensstand kann vorausgesetzt werden, welche Kompetenzen sollen mindestens in der Simulation gezeigt werden und wie sieht ein idealer Ablauf aus. Ein Beispiel aus unserer Praxis: Wir haben für die Christophorus Akademie in München zwei Fallbeispiele für medizinische Palliativfortbildungen entwickelt, bei denen wir für den Krankheitsverlauf Experten aus Medizin und Pflege hinzugezogen haben, um eine fundierte Krankengeschichte zu erstellen. Dieses Format sieht für das Training vor, dass die 6 oder 7 gesprächsführenden Mediziner:innen jeweils nur 4-5 Minuten mit dem Patienten agieren und das Gespräch dann von einem Kollegen übernommen wird, der inhaltlich anschließt. Für die einzelnen Gesprächsabschnitte haben wir verschiedene Themen mit fließenden Übergängen definiert, sodass jeder Akteur seine eigene Herausforderung zu bearbeiten hat und das Gespräch am Ende doch einen kompletten inhaltlichen Bogen umfasst. So gibt es zu Beginn beispielsweise erstmal eine Verweigerungshaltung des Patienten, die geknackt werden muss, bis es nach einer Aufwärm- und Kennenlernphase dann zu intimen und brisanteren Themen kommt und am Ende Lösungsansätze forciert werden können. Für uns ist solch ein halbstündiges Gespräch mit 6 oder 7 Gesprächspartnern sehr herausfordernd, einmal wegen der emotionalen Intensität und der Länge, dazu müssen wir uns im Debriefing an die einzelnen Gesprächsabschnitte erinnern, um ein gezieltes Feedback geben zu können. Das Feedback aus Patientensicht ist überhaupt aus unserer Erfahrung der größte Benefit oder Bonus, den das schauspielgestützte Training bietet. Wir haben dafür eine spezielle schauspielerische Technik entwickelt, die wir auf der Bühne oder vor der Kamera gar nicht brauchen, nämlich einen Einblick in die Gefühlswelt der Figur während der Szene zu geben. Es ist immer wieder erstaunlich, wie das Feedback aus Patientensicht von den Trainierenden aufgenommen und auch eingefordert wird. Rückmeldungen zu Nähe und Distanz, zu bestimmten Formulierungen oder zu Tempo und Gesprächspausen sind enorm wertvoll, genau weil dieses Feedback in der Krankenhauspraxis nie eingeholt werden kann. Wir gehen dafür noch mal gedanklich in die Figur zurück und versuchen, nur die Gedanken und Gefühle der Figur widerzuspiegeln, ohne nochmals die komplette Körperlichkeit der Figur auszuagieren. Während der Szene versuche ich mir beispielsweise, an positiv oder negativ wahrgenommenen Stellen, gedankliche Marker zu setzen, über die ich hinterher sprechen will. Die Rückmeldungen entsprechen häufig einem Bauchgefühl oder einem Impuls, den die Trainierenden auch gehabt haben, dem sie aus Zurückhaltung, Scham oder Zögerlichkeit aber nicht direkt gefolgt sind. Daher ist das Feedback aus Patientensicht häufig eine Methode, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Impulse zu erlangen. Wo liegen, zusammengefasst, die Vorteile von Profis in der Simulation: -Hier wäre erstmal der signifikante Unterschied zu „echten“ Patienten, die ja in Examens- oder Zwischenprüfungen auch teilweise eingesetzt werden: Der Einsatz von Schauspieler:innen ist ethisch vertretbar und dient dem Schutz der Patienten. Emotional belastende und schambehaftete Situationen in der Simulation zu durchleben, wäre für reale Patienten unangemessen. Aus unserer Erfahrung gibt es auch bei Laiendarsteller:innen Grenzen oder Hemmungen bei der Darstellung verschiedener Themen oder auch beim Arbeitspensum eines langen Tages, diese Einschränkungen haben Profis in der Regel nicht. -Belastbarkeit: Schauspieler sind es vom Theater oder Dreharbeiten gewohnt, eine große emotionale Bandbreite zu zeigen. Auch nach Unterbrechungen, Pausen oder Figurenwechseln ist sofort ein tiefer Wiedereinstieg möglich. Hier möchte ich noch kurz auf eine Coachingtechnik zu sprechen kommen, die aus unserer Sicht noch zu wenig genutzt wird. Eine Unterbrechung, bei der nach einem inhaltlichen Input für den Trainierenden Vor- oder Zurückgespult wird. Dabei unterbricht der Coach die Szene, wenn die Trainierende ins Schwimmen gerät oder blockiert wirkt. Der Schauspielpatient geht in ein „Freeze“, hält also die Konzentration der Figur und wartet auf eine Anweisung, an welcher Stelle des Gesprächs wieder eingestiegen werden soll. Die Trainierende bekommt unterdessen einen Impuls zur Veränderung und man einigt sich auf eine Stelle im Gespräch, die gut für einen Wiedereinstieg geeignet ist. Der Schauspielpatient „vergisst“ sozusagen, was in der letzten Runde geschehen ist, spult inhaltlich zurück und geht vollkommen unvoreingenommen an die gewünschte Stelle. Dadurch kann erreicht werden, dass man die frustrierende Erfahrung eines „Scheiterns“ vermeiden kann und die Trainierenden gelernte Inhalte gleich erfolgreich umsetzen und anwenden können. Genauso kann man auch „vorspulen“, um eine gute Beziehungsaufnahme abzukürzen und gleich zum Kern eines Problems zu kommen. -Thema Qualitätssicherung: Profis garantieren eine Wiederholbarkeit mit gleichbleibendem Niveau zwischen allen Teilnehmenden. Dadurch entsteht eine Kontinuität und Vergleichbarkeit im Prozess, wichtig vor allem für standardisierte Prüfungen. -Dosierung des Rollenspiels: Profis können in der Interaktion mit der Trainerin oder dem Coach die Anforderungen und den „Härtegrad“ des Rollenspiels bewusst festlegen und auch im Laufe des Tages verändern. Beispielsweise kann die Schwere eines Demenzgrades oder die Schwere einer Aphasie nach Ansage angepasst werden. Eine solche Ansage könnte zum Beispiel sein: „Fahr die Auswirkungen der Demenz bei der nächsten Simulation um 20% herunter.“ Das können wir dann in der nächsten Runde umsetzen. Wir versuchen unsere praktischen Erfahrungen weiterzugeben, deswegen engagieren wir uns auch hier bei SimNat e.V. für den Einsatz von schauspielgestützten Trainings. Auch die deutsche Palliativgesellschaft unterstützen wir bei öffentlichen Veranstaltungen mit unserer Expertise und stehen dort als Schauspiel-Patienten zur Anwendung von Pflegemaßnahmen zur Verfügung. Am 20. April 2023 beispielsweise wieder in Nürnberg beim 1. Bayerischen Palliativtag. Dort halte ich einen Vortrag über das Führen von schwierigen Gesprächen und meine Kollegin Elisabeth Rass wird in den Genuß von verschiedenen Pflegemaßnahmen kommen und darüber Feedback geben. Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Vortrag einen kurzen Einblick in unsere Arbeit geben können. Wir tun das, was wir tun, mit Leidenschaft. Wer mehr über uns erfahren will, kann sich auf der Homepage www.kultur-lemuc.de informieren oder mich direkt hier auf der Veranstaltung ansprechen. Nach der Mittagspause werde ich mit meiner Kollegin Marion Freundorfer praxisnahe Einblicke in unsere Arbeit gewähren und freue mich schon auf ihre rege Beteiligung. Kontakt: KULTUR LE MUC Manuel Boecker Ute Reiber boecker@kultur-lemuc.de Mobil 0173 8508549  

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